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MK:

„Tief in Bayern“

Die Methoden der modernen Kulturanthropologie erlauben es dem Amerikaner McCormack, sich „den Bajuwaren“ differenzierter zu nähern. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich: Es handelt sich um erfundene ethnographische Forschung, die liebevoll und kritisch auf Bayern blickt. Der Autor, ebenso eine fiktive Figur, beschreibt das Leben der Bayern in seiner ganzen Vielfalt. Der reale Autor dieser Satire, Gert Raeithel, beschreibt treffend das unwahrscheinliche Gleichgewicht zwischen High-Tech-Denken und Naturverbundenheit, das er in seinem bayrischen Umfeld beobachtet.

Hier einige Zitate aus „Tief in Bayern: Eine Ethnographie“ von Richard W. B. McCormack:

Bayern in Zeit und Raum, S. 258

Vor dem 7. Jahrhundert lag Bayern in süßer Ruhe. Die Bajowaren tauchten erst einige hundert Jahre nach anderen Ethnien (Alemannen, Franken, Sachsen) in der Geschichte auf. Sie haben sich seither keine besondere Mühe gegeben, den cultural lag aufzuholen, sind vielmehr ihren eigenen Weg gegangen und waren erfolgreicher als andere Stämme in dem Bemühen, sich eine unverwechselbare Identität zuzulegen.

Denken und Fühlen, S. 78-79

Der Bayer, stolz auf seine pralle Lebensphilosophie, spricht Intellektuellen die volle Genussfähigkeit ab. Die Haltung kann sich bis zum Anti-Intellektualismus steigern. Akademiker sind dort verhasst, wo sie „ihre Unfähigkeit zu einer breiten, sinnlichen Lebensführung durch oberlehrhafte Arroganz kompensieren“. Die mangelnde Gefühlstiefe studierter Personen wirkt umso hässlicher, als die sinnliche Wahrnehmung bei der Standardbevölkerung sehr ausgeprägt ist.

Liebe und Ehe, S.157

Die gesellschaftlichen Rollen von Mann und Frau richten sich nach dem Sexualdimorphismus und sind fest verteilt. In Kirchenschiffen herrscht sexueller Separatismus, doch können sich die Aktionsradien von Mann und Frau bei unerwarteten Gelegenheiten auch überschneiden. […] Etwaige Selbstzweifel der Männer werden durch den nicht bloß im Bayerwald grassierenden Hypergenitalismus unterbunden.

Esskultur, S. 173

Der englische Autor John Strang hatte über den bayerischen Alltag geschrieben: „Eating and drinking constitute the chief business of life.“ Der Stamm musste sich, um das Stereotyp zu erfüllen, diese Ansicht zu eigen machen.

Esskultur, S. 175

Der Bayer nimmt seine Speisen am liebsten in geballter Form zu sich. Der monolithische Knödel ist wesensverschieden von den diffusen Spätzle der benachbarten Schwaben. Größe rangiert vor Geschmack. Ein wiederkehrender Streit dreht sich um das Volumen von Roggen- und anderen Semmeln.

Esskultur, S. 174

Die landeseigene Küche gilt als ausgesprochen sättigend, um nicht zu sagen: schwer. Als der Oberhirte aus Rom in die Hauptstadt kam, wurde er, wie es hieß, mit „leichter bayerischer Kost“ versorgt. Doch blieben die Flügeltüren des Erzbischöflichen Palais geschlossen, und so konnte kein Chronist dieses wunderliche Paradoxon in Augenschein nehmen, geschweige selbst verkoste

Trinksitten, S. 183

Der Hopfen ist als Kulturpflanze aus der bayerischen Sakrallandschaft nicht mehr wegzudenken. Seinen Anfang nahm der Hopfenanbau im 8. Jahrhundert n. Chr. am heiligen Berg Tetmos bei Freising. Nicht viel später erwarb das Kloster Weihenstephan die Braugerechtigkeit. In den klösterlichen Sudstätten hatten Mönche ein Anrecht auf fünf Maß Bier pro Tag. Das von Mönchen gegründete München lag an der Salzstraße, was einmal den großen Durst erklärt und einem Scherzwort zufolge auch die gesalzenen Preise. Die Biermenge war so bemessen, dass sie allemal für ein „fein christlich Räuschgen“ reichte. Der Gesetzgeber betrachtet Bier heute noch als das fünfte Element. Die Bevölkerung sieht in ihm ihr Nationalheiligtun. Bisweilen schlagen die Trinker ihre Tempelgefäße in religiöser Ekstase auf den Häuptern der Mitgläubigen.

Trinksitten, S. 184

Das Lied „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ ist in der Residenzstadt entstanden und um 1900 aufs Land gekommen. Es sollte die sorgenbrechende Funktion des Bieres verstärken. Der Fachausdruck hierfür lautet „seinen Grant obischwoabn“, was so viel heißt wie seinen Kummer ertränken.

Trinksitten, S. 185

Auf dem Nockherberg, einem der heiligen Bierberge rund um die Residenz, wurde die Sentenz geprägt: „Ein Wirtshaus läuft in Bayern immer besser als der Sozialismus.“ Denn Bier ist ein Egalisator an sich. Die Krupskaja schrieb über sich und ihren Begleiter: „München war die schönste und leichteste Zeit unserer Emigration. Besonders gern erinnern wir uns an das Hofbräuhaus, wo das gute Bier alle Klassenunterschiede verwischt.“ Nirgendwo rücken Misanthropen enger zusammen als in einem Stehausschank.