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Digitales Programmheft „Mia san Mia“

Mia san Mia

Eine bayerische Space Odyssey

Die Welt lebt endlich im Einklang mit der Natur. Tiere werden nicht mehr in Massentierhaltung gehalten und am Fließband getötet, Armut ist beseitigt, das patriarchale System ist fast überwunden, ebenso wie ausgrenzender Rassismus. Und dennoch brechen ein paar Waghalsige auf in die Weiten des Weltraums, auf der Suche nach einer neuen Heimatstätte: Das Verbot, Exzesse zu feiern und Fleisch zu verzehren, ist für sie ein Einschnitt in ihr Brauchtum. Sie finden einen Wanderplaneten, auf dem sie eine bayrische Siedlung errichten, um dort ihre Traditionen fortzuführen. Nur: Auf diesem unwirtlichen Felsbrocken gibt es keine Nutztiere, kein Weideland und auch nichts zu jagen. Aber immerhin kann ihnen hier in der Fremde niemand Vorschriften machen: In Bayern daheim, im Weltraum zu Hause.

Nun kommen Tourist*innen an diesen gottverlassenen Ort. Sie nehmen die lange Reise von der Erde auf sich, um auf dem fremden Planeten in dieser letzten, bayrischen Siedlung althergebrachte, fast verschwundene kulturelle Ausdrucksformen hautnah zu erleben: Hier gibt es nicht nur archaische Rituale, sondern auch Bier, das auf der Erde längst verboten worden ist, weil es zur Gewalt anstachelt. Sind die Touristen wirklich willkommen? Einerseits sichert der Fremdenverkehr das Überleben der Siedlung, anderseits benehmen sie sich grenzüberschreitend, machen Dinge, die sie sich bei sich auf der Erde nie erlauben würden. Will man diese Leute wirklich teilhaben lassen am teuren Brauchtum? Oder wäre es nicht besser, einfach ein Stereotyp zu erfüllen?

Zu allem Überfluss erscheint ein Gutachter, der entscheiden soll, ob die Siedlung geräumt werden soll, um den Wanderplaneten als Müllhalde zu nutzen. So sehr auf der Erde die Menschheit in Harmonie mit der Natur lebt, Abfall gibt es dennoch. Den will man auslagern und nicht bei sich behalten. Vorurteilsbeladen beschreibt der Gast von der Erde die Bewohner*innen der Siedlung. Tut er ihnen Unrecht? Sieht er einfach nur, was er sehen will? Sind die Gestalten auf dem Wanderplaneten nicht einfach beklagenswert? Wo bleibt unsere Empathie mit ihrem Schicksal?

So treffen in diesem bildstarken, choreographischen Theaterabend drei Interessen aufeinander. Science-Fiction trifft auf verbleichtes Heimatidyll und mittendrin wir selbst: Sind wir auch stolz auf eine Identität? Der Stolz, der beim Ausspruch “Mia san Mia” mitschwingt, ist ein Zeichen für die Verbundenheit mit einer Landschaft und einem Brauchtum. Gruppen brauchen eine Erzählung und Rituale, um beieinander zu bleiben. Dieser Einschluss erzeugt aber auch Ausschlüsse: Identitäten können zum Problem werden, wenn sie zu einem ausschließenden Projekt werden, an dem nicht alle teilhaben dürfen. Verkapseln wir uns in Gruppen, die andere ausschließen wollen?

Martín Valdés-Stauber

Das versteht Thomas Müller unter „Mia san Mia“

Heute werden in der Villa Baviera ausgelassene Oktoberfeste gefeiert; früher herrschte auf dem Gelände eine totalitäre Sektengemeinschaft. In der damaligen „Colonia Dignidad“, unter Führung eines deutschen Laienpredigers, wurde tyrannisiert, gefoltert und getötet. Die Wandlung in eine Art Touristik-Zentrum löste Unmut aus und ist eine Referenz für die Inszenierung „Mia san mia“ von Marco Layera.

Lesen Sie hier den Beitrag des Deutschlandfunk.

Georg Seeßlen beschrieb schon 2015, wie Bayerns Sonderstellung in Deutschland „kein kulturelles Phänomen, sondern Folge eines politisch-taktischen Kalküls“ ist. Er stellt die These auf, dass die touristische-einladende Selbstinszenierung einhergeht mit der Exklusion des Fremden. „Mia san Mia“ als ausschließendes Projekt.

„Obwohl ich am anderen Ende der Welt lebe, erscheint mir der Ausspruch ‚Mia san Mia‘ vertraut und erinnert mich an Aussagen, die ich von klein auf in meinem Land höre. Es enttarnt sich selbst: ein Identitätsnarrativ, dass uns zum Stolz aufstacheln soll und uns nicht sehen lässt, wer wir wirklich sind.“

– Marco Layera, Regisseur

Das unberührte und rätselhafte Österreich – Das Fest des Huhns

Hier Walter Wippersberger „Kultfilm“ über Oberösterreich! Ein Genuss! In dieser Satire ethnographischer Fernsehdokumentationen studieren Schwarze Forscher*innen die Sitten und Gebräuche in Oberösterreich. Sie beobachten, wie Menschen sich in Zelten zusammenfinden, literweise Bier trinken und dazu hauptsächlich Hühner essen. Daraus schlussfolgern sie: Die Oberösterreicher*innen feiern wohl „Das Fest des Huhns.“

Die Methoden der modernen Kulturanthropologie erlauben es dem Amerikaner McCormack, sich „den Bajuwaren“ differenzierter zu nähern. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich: Es handelt sich um erfundene ethnographische Forschung, die liebevoll und kritisch auf Bayern blickt. Der Autor, ebenso eine fiktive Figur, beschreibt das Leben der Bayern in seiner ganzen Vielfalt. Der reale Autor dieser Satire, Gert Raeithel, beschreibt treffend das unwahrscheinliche Gleichgewicht zwischen High-Tech-Denken und Naturverbundenheit, das er in seinem bayrischen Umfeld beobachtet.

Lesen Sie hier einige Zitate aus „Tief in Bayern: Eine Ethnographie“ von Richard W. B. McCormack.

Der Geisteswissenschaftler Jürgen Heizmann spricht mit der DW darüber, warum wir Heimatfilme brauchen, nicht aber ein Heimatministerium. Ein interessantes Interview über ein vermeintlich verstaubtes Filmgenre.

Rechtsextreme müssen nicht mit Springerstiefeln und Glatze auftreten, sondern können auch als vermeintliche „Ökolandwirte“ für ihre Sache werben. Verfassungsschützer*innen warnen zunehmend, dass Teile der Szene versuchen, weitere Anhängerinnen zu finden – unter dem Deckmantel ökologischer Versprechen.

Erfahren Sie hier mehr in einem Beitrag des Deutschlandfunk.